„Wir sind extrem anspruchsvoll“
Mit Verantwortungsbewusstsein in die Gastronomie
Interview: Stefanie Herzog
Ganzheitliche Nachhaltigkeit – nach diesem Credo arbeitet das Restaurant erasmus in Karlsruhe. Nur wer versteht, was dahinter steckt und dieses Ziel mitverfolgt, wird von dem Gourmetrestaurant ausgebildet. Als neues Mitglied im Netzwerk Grüne Arbeitswelt möchte erasmus die grüne Berufsorientierung vorantreiben. Geschäftsführerin Andrea Gallotti erklärt im Interview, wie sich das Thema Nachhaltigkeit in der der Gastronomie anpacken lässt, und wie die Corona-Krise zu mehr Menschlichkeit in der Arbeitswelt führen kann.
Netzwerk Grüne Arbeitswelt: Was ist das Besondere am Restaurant erasmus?
Andrea Gallotti: Wir sind ein Gourmetrestaurant, das mit 100 Prozent Biozutaten kocht. In den letzten sechs Jahren haben wir unter den Bioprodukten jene selektiert, die unseren Ansprüchen nach Geschmack und ganzheitlicher Nachhaltigkeit entsprechen. In der ganzheitlichen Nachhaltigkeit wird die ökologische Nachhaltigkeit durch soziale und kulturelle Nachhaltigkeit ergänzt. Ein Beispiel ist der Erhalt handwerklich einzigartiger Lebensmittel, wie Käse, die nur noch von wenigen Menschen gefertigt werden und mit deren Dahinschwinden dörfliche Strukturen zerbrechen können. Die Kommunikation mit dem Gast ist die Königsdisziplin. Nur talentierte Nachwuchskräfte werden von uns angelernt. Sie müssen vorher beweisen, dass sie sich ihrer Verantwortung gegenüber uns und unseren Landwirt/innen und Lebensmittelhandwerker/innen bewusst sind.
Was unternehmen Sie im Bereich Berufsorientierung?
Wir sind seit Kurzem Mitglied im Netzwerk Grüne Arbeitswelt und freuen uns, gemeinsam den Weg in die grüne Berufsorientierung zu gehen. Bisher haben wir Schülerpraktika und Ausbildungsplätze angeboten. Dies möchten wir auch weiter machen.
Wie sehen Sie den Fachkräftemarkt für ein Unternehmen wie Ihres?
Auf der einen Seite ist es für uns schwierig, bezogen auf die Branche, Personal zu finden, weil wir so extrem anspruchsvoll sind. Auf der anderen Seite bleiben unsere Mitarbeiter/innen, wenn sie zu uns gefunden haben, auch sehr lange und sind sehr zufrieden. Es ist wie mit echten Freund/innen – es gibt wenige davon aber die wenigen sind dann auch wirklich da, wenn es darauf ankommt.
Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise auf den Arbeitsmarkt in der Gastronomie?
Unsere Hoffnung ist, dass Arbeitgeber/innen, die die Sozialversicherung und die Tarifverträge als sinnvolle Institutionen sehen, an Zulauf gewinnen. Die Menschlichkeit hat durch die Krise eine Chance bekommen. Einer unserer Spüler ist zum Beispiel Maler. Er macht diesen Beruf tagsüber, festangestellt, und kommt als Mini-Jobber am Wochenende zu uns in die Küche. Wir haben ihn in der Corona-Zeit unsere Dachterrasse renovieren lassen, für den doppelten Stundenlohn, um seine Professionalität anzuerkennen. Er hat eine Tochter, die auf einmal nicht mehr in die Kita konnte und eine Frau, die nicht mehr arbeiten konnte, weil sie gezwungen war zu Hause zu bleiben. Minijobber haben keinen Anspruch auf Kurzarbeit. Hätten wir diesen Mitarbeiter fallen gelassen, wäre das für ihn und seine Familie dramatisch gewesen.
Wie sieht die Gastronomie-Branche der Zukunft aus? Was ist Ihre Vision?
Die Gastronomie der Zukunft muss dem Wunsch der Gäste nach Nachhaltigkeit entsprechen. Wie genau dieser Wunsch sich darstellt und was die Möglichkeiten von Gastronom/innen sind, ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Ein sehr sinnvolles Instrument, um ökologisch nachhaltige Gastronomie umzusetzen, ist die Bio-Anbau-Verbandszertifizierung. Wenn auch bürokratisch herausfordernd, so kann man doch durch die Ansprechpartner/innen in den Bio-Verbänden zahlreiche Hilfestellungen, Kontakte, Praktiker/innen, Tipps und Umsetzungshilfen erfragen. Mit der Bio-Anbau-Verbandspartnerschaft hat man den momentan einzigen unabhängig kontrollierten und transparenten Nachhaltigkeitsstandard zur Hand, um seinen Gästen den Wunsch nach ökologisch nachhaltiger Gastronomie zu erfüllen. Wer das Thema Nachhaltigkeit in der Gastronomie noch etwas tiefer erkunden möchte, über die ökologischen Aspekte hinaus, ist darüber hinaus gut beraten, die chef´s alliance von Slow Food Deutschland zu kontaktieren.
Ich vermute außerdem, dass das „Greenwashing“ in der Branche zunehmen wird. Viele werden weiterhin versuchen, das sehr komplexe und immer fallspezifische Erreichen einer gesteigerten Nachhaltigkeit auf scheinbar allgemeingültige Strategien runter zu brechen, wie „esst kein Fleisch“ oder „kauft nur noch regional“. Beides kann höchstens unter Umständen und dann auch immer nur zu einem teilweisen Erreichen von ganzheitlicher gastronomischer Nachhaltigkeit führen. Hier sollte es oberstes Ziel sein, Wissenschaft, Praxis und Ausbildung in naher Zukunft zu einer gegenseitigen Befruchtung zu bewegen.
Das zweite wichtige Thema der Zukunft ist die Digitalisierung. Sie wird die Branche stark verändern. Es braucht jetzt einen gesellschaftlichen Diskurs, an welcher Stelle wir im Lebensmittelsystem nicht auf den Menschen als Bewahrende von Fertigkeiten, Abwägungen, Kreativität und Einfühlungsvermögen verzichten möchten
Frau Gallotti, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.