Berufsorientierung meets BNE
Was sich Berufsorientierung und Bildung für nachhaltige Entwicklung zu sagen haben
Text: Krischan Ostenrath
Berufsorientierung für Berufe mit Nachhaltigkeitsbezug muss mehr sein als nur eine Teilmenge der standardisierten Berufsorientierung. Eine nachhaltige Berufsorientierung muss sich selbst als Bildung für nachhaltige Entwicklung verstehen. Jedenfalls wenn sie sich selbst ernstnehmen und nicht zum grün angemalten Branding einzelner Berufe degradieren will. Angesichts dieses hohen konzeptionellen Anspruchs kamen Ende November Fachakteur*innen aus ganz Deutschland in Frankfurt zusammen, um über eine solche „Berufsorientierung im Wandel“ zu diskutieren.
BO + BNE = BONE
Vertreter*innen arrivierter Institutionen der Berufsorientierung saßen am 30. November im Frankfurter House of Labour neben BNE-Akteur*innen, und junge Menschen in der Berufsorientierungsphase trafen auf Expert*innen aus Unternehmen und Wissenschaft. BO, also Berufsorientierung, traf hier auf BNE, also Bildung für Nachhaltigkeit, in der Summe drehte sich mithin alles um BONE, also eine Berufsorientierung für nachhaltige Entwicklung. Natürlich sind wesentliche Teile der Debatten dieser Fachtagung auch auf die gesamte Berufsorientierung übertragbar, aber die eintägige Veranstaltung nahm den geschilderten konzeptionellen Anspruch selbst auf und ließ beispielsweise nicht nur Expert*innen zu Wort kommen, sondern auch die adressierten Jugendlichen selbst. Und sie scheute sich – auch das spricht für die BNE-typische Ehrlichkeit der Debatten – nicht, auch Zielkonflikte und Hemmnisse einer nachhaltigkeitsbezogenen Berufsorientierung in den Blick zu nehmen.
Es ist nun hier nicht der Ort für einen ausführlichen Rückblick auf die Fachtagung „Berufsorientierung im Wandel“. Wohl aber lassen sich Ergebnisse und Schlüsselbotschaften ebenso herausdestillieren wie Empfehlungen für deren Kommunikation und Dissemination. Und selbst das sollte mit aller Vorsicht geschehen, denn die Diskussion um die konzeptionellen Implikationen einer BONE müssen vertieft und verbreitert werden. Der Frankfurter Tagung aber kommt wohl der Verdienst zu, zwei Arbeitsgebiete der Bildungsarbeit miteinander ins Gespräch gebracht zu haben, die sich bislang zu wenig Beachtung geschenkt haben. Nachbereitet in einem Redaktionsworkshop Mitte Dezember haben sich die folgenden Ergebnisse und Impulse als besonders wichtig erwiesen, um weiter verfolgt zu werden.
Arbeitsmarktliche Bezüge
Auf systematischer Ebene muss klar sein, dass es keine spezifischen „Nachhaltigkeitsberufe“ gibt und geben kann. Jedes Berufsfeld hat seine eigenen Nachhaltigkeitsbezüge, und dementsprechend haben auch die hierin zusammengefassten Berufsbilder ihre eigenen Nachhaltigkeitsthemen. Eine Berufsorientierung für nachhaltige Entwicklung kann sich damit nicht auf einzelne Ausbildungs- oder Studienberufe fokussieren, sondern – und hierin liegen wohl mehr Chancen als Risiken – muss die gesamte Arbeitswelt in den Blick nehmen. Verbunden mit dieser Einsicht ist vor allem auch die Möglichkeit, das Thema Nachhaltigkeit aus der akademischen Blase zu befreien. Denn es ist eben nicht nur der akademische Weg, der auf ein Arbeiten für Nachhaltigkeit vorbereitet. Schon rein quantitativ wichtiger sind die grundständigen Berufe, in deren Ausbildungswegen das Nachhaltigkeitsthema zunehmend stärker aufgegriffen wird. Nachhaltigkeit ist erwiesenermaßen ein Attraktor für potenzielle Arbeitskräfte, und deshalb ergeben sich in einer stärker auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Berufsorientierung auch Möglichkeiten, Studienabbrüche durch präventive Informationsarbeit zu vermeiden, Studienabbrecher*innen an das duale Ausbildungssystem heranzuführen oder auch die elterlichen Akademisierungsbemühungen zugunsten einer interessen- und neigungsorientierten Berufswahl aufzubrechen.
Didaktische Empfehlungen
Dass Bildungsarbeit grundsätzlich lebensweltliche und wertebezogene Momente ansprechen muss, um wirksam zu sein, ist didaktisch ein recht alter Hut. In einer nachhaltigen Berufsorientierung ergeben sich aber hieraus noch einmal neue Möglichkeiten, denn in dieser Verknüpfung von Nachhaltigkeit und Berufswelt können individuelle Bezüge zwischen den Berufsfeldern und der individuellen Orientierung der Jugendlichen hergestellt werden. Das schließt natürlich ein, dass eine Berufsorientierung für nachhaltige Entwicklung authentisch und ergebnisoffen geschehen muss. Das wiederum kann sie nur, wenn sie sich vom Greenbranding einzelner Berufszweige oder beschönigenden Darstellungen einer idealisierten Arbeitswelt abhebt. Aus der Forderung nach lebensweltlichen Bezügen leitet sich im Übrigen auch der zu Recht von gewerkschaftlicher Seite vorgetragene Hinweis ab, dass im Rahmen nachhaltiger Orientierungsangebote offen und ungeschönt über die Ausbildungs- und Beschäftigungsbedingungen gesprochen werden muss. Denn niemandem – auch nicht dem Ausbildungs- bzw. Arbeitgeber – ist damit geholfen, die praktischen Arbeitsverhältnisse attraktiver darzustellen als sie sind. Im Gegenteil erlaubt es eine offene Auseinandersetzung mit den Beschäftigungsbedingungen schon in der Berufsorientierungsphase viel früher, die kritischen Elemente mit der individuellen Toleranzgrenze abzugleichen und damit einen Einstieg mit „sehendem Auge“ zu ermöglichen.
Dazu würde sicherlich auch beitragen, wenn eine Berufsorientierung für nachhaltige Entwicklung nicht nur auf den kurzen Zeitraum der schulischen Pflichtpraktika beschränkt wäre. Es mangelt ja nicht grundsätzlich an der Offenheit von Unternehmen und Einrichtungen gegenüber jugendlichen Praktikant*innen. Die Schwierigkeit liegt eher darin, zusätzliche praktische Erfahrungen mit den schulischen Anforderungen in Einklang zu bringen. Das ist insofern unverständlich, als sich Nachhaltigkeitsthemen – und damit auch Bezüge zu praktischen Erfahrungsmöglichkeiten – in beinahe jedem schulischem Curriculum unterbringen lassen. An dieser Stelle wäre es also naheliegend, mehr Freiräume für die praktische Auseinandersetzung mit einem künftigen Berufsfeld zu schaffen, sei es durch schulische Aktivitäten wie Exkursionen oder Praxistage oder durch außerschulische Erfahrungen in Workcamps oder Freiwilligenarbeit. Konzeptionell entscheidend ist dabei gar nicht so sehr der Rahmen, sondern vielmehr die Möglichkeit für Schülerinnen und Schüler in der Orientierungsphase, sich praktisch, kommunikativ, alltagsnah und authentisch mit Nachhaltigkeitsbezügen in der Berufswelt auseinanderzusetzen. Als besonders beeindruckend im Sinne einer Selbstwirksamkeitserfahrung haben sich hierbei natürlich von Jugendlichen selbst gesteuerte Formate wie die im Rahmen von „Jobs ohne Kohle“ durchgeführten Dialogformate erwiesen.
Der institutionelle Rahmen
Nun ist eine Berufsorientierung für nachhaltige Entwicklung gut beraten, sich nicht vom etablierten System der schulischen und außerschulischen Berufsorientierung loszusagen und zu unterstellen, dass man hier mangels thematischer oder konzeptioneller Bezüge das Rad neu erfinden müsse. Dies wäre eine enorme Einschränkung der Reichweite von BONE-Maßnahmen und vor allem auch eine Missachtung der zahlreichen institutionellen, unternehmerischen und individuellen Akteur*innen, die sich bereits im Anwendungsgebiet bewegen. Allerdings verbinden sich mit einem Plädoyer für eine Integration von BONE-Ansätzen in die bestehenden Berufsorientierungsstrukturen durchaus auch Forderungen, wie beispielsweise nach erhöhten Zeit- und Ressourcenaufwand für die Schulung und Professionalisierung des damit beschäftigten Personals. Auch die (Weiter-)Entwicklung von zielgruppengerechten Instrumenten – beispielsweise durch peer-to-peer-Ansätze, Role Models, Dialogformate, Praxisformate und Gestaltung nachhaltiger Lernorte – ist daran gebunden, dass hier gezielt Ressourcen investiert werden können. Um so mehr gilt das für das noch unterentwickelte Gebiet digitaler und virtueller BONE-Ansätze, die in der Orientierungsarbeit von morgen eine absehbar größere Rolle spielen dürften. Die Forderung nach einer Integration von BONE-Ansätzen in das bestehende Berufsorientierungssystem ist also leichter ausgesprochen als umgesetzt. Zwar würden hier wohl weder die etablierten Akteur*innen noch die BNE-Akteur*innen widersprechen, aber zum Schwur kommt es dann wie immer in der praktischen und ressourcenabhängigen Umsetzung.
Gerade auch angesichts der einerseits vielfältigen Überschneidungen und andererseits der akteursspezifischen Interessen braucht eine nachhaltige Berufsorientierung koordinierende und neutrale Koordination. Eine Verstetigung von BONE-Ansätzen durch ihre Verstetigung kann nur gelingen, wenn der Handlungsansatz nicht von einer bereits bestehenden Institution des BO- oder BNE-Systems einseitig besetzt wird. Gleichzeitig gilt für eine solche Navigationsfunktion im höchsten Maße, dass sie auf unterschiedlichen Ebenen sachlich und neutral qualifiziert ist. Nur durch die Zusammenschau von Arbeitsmarktfragen, BNE-Ansätzen, Berufsorientierungsstrukturen und Nachhaltigkeitsexpertise kann eine Koordinationsstelle die fachliche Qualität von BONE-Ansätzen absichern. Ohne eine solche koordinierende Funktion hingegen werden die wenigen BONE-Aktivitäten im Pilotstudium steckenbleiben, damit wäre das Gegenteil der zentralen Vernetzung und Abstimmung erreicht.
Sprechen wir darüber
Ähnlich hohe Anforderungen dürften wohl auch für die Kommunikation der zuletzt diskutierten Ansätze einer Berufsorientierung für nachhaltige Entwicklung gelten. Hier stehen wir ja nicht nur vor Reichweiteproblemen, sondern auch vor der Frage nach institutioneller Glaubwürdigkeit und Auskunftsfähigkeit. Wenn BONE sich im Kleinen schon als kommunikativer Prozess auf Augenhöhe versteht, dann gilt das erst recht im Großen, also in der Dissemination entsprechender Ansätze und Aktivitäten. Insofern die Dissemination und Verbreitung von BONE-Ansätzen nicht nur auf einzelne Ziel- und Nutzergruppen zugeschnitten sein, sondern vor allem auch fachlich abgesichert geschehen muss, steht die strategische Kommunikation vor derselben Herausforderung wie die Verankerung in der Akteurslandschaft. Ein „Sprechen-über“ muss jenseits institutioneller Interessen und gewerkebezogener Terminologie geschehen, um von möglichst vielen Akteursgruppen akzeptiert zu werden. Gleichzeitig setzt dieses „Sprechen-über“ eine hohe fachliche Expertise beispielsweise in didaktischer, kommunikativer, arbeitsmarktlicher oder akteursbezogener Hinsicht voraus. Auch hier gilt: Wer andere von der Ergiebigkeit der BONE-Ansätze überzeugen will und soll, der ist auf eine hohe Akzeptanz in unterschiedlichen Akteurslandschaften angewiesen. In der unbestritten höchst wichtigen Frage nach Dissemination und Kommunikation braucht es – sowohl in der Diskussion mit fachlichen Akteur*innen als auch in der breitenwirksamen Streuung entsprechender Orientierungsangebote – wohl weder Nachhaltigkeitspropheten noch PR-Agenturen, sondern vielmehr glaubwürdige Agentinnen und Agenten, die Erfolgsgeschichten und inspirierenden Visionen mit Kritikfähigkeit und sachlicher Expertise verbinden.