Berufsorientierung, Umweltwirtschaft und Digitalisierung

Junge sitzt vor Laptop

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Umweltorientierte Berufsorientierung in einer digitalisierten Arbeitswelt

Text: Krischan Ostenrath

Es liegt auf der Hand, dass sich auch die Berufsorientierung in einer grünen Arbeitswelt dem Mega-Trend der Digitalisierung weder inhaltlich noch methodisch entziehen kann. Aber jenseits dieser Binsenweisheit ist dann kaum noch etwas klar. Denn die Dimensionen der Digitalisierung – sei es als kulturelle und soziale Revolution, sei es als Herausforderung für die uns bekannte Arbeits- und Berufswelt oder sei es als künftiger Rahmen umweltbezogener Wirtschaftszweige – sind aktuell kaum zu überblicken. Die schlechte Nachricht: Geregelte „Übergangsplanungen“ für Unternehmen, Fachkräfte und Fachleute der  Berufsorientierung sind in einer solch fundamentalen Transformation schwer, wenn nicht gar unmöglich. Die gute Nachricht: Ähnliche Revolutionen wie beispielsweise die Erfindung von Schrift oder Buchdruck hat die Arbeitswelt auch schon überstanden, und das durchaus nicht zum Schlechten.

Dass sich nun die längst schon nachweisbare Digitalisierung auch auf die Umweltwirtschaft auswirkt, ist als Faktum kaum umstritten. Aber was das inhaltlich genau bedeutet und welche Tragweite diese Umwälzung hier haben wird, ist im Detail noch gar nicht abzusehen. Konkrete Digitalisierungstendenzen sind jedoch durchaus bereits nachweisbar. Auf makroökonomischer Ebene wird fleißig über Wegfall bzw. Entstehung von Arbeitsplätzen spekuliert, wobei jenseits der quantitativen (und sich durchaus widersprechenden!) Prognosen eigentlich kaum qualitative Aussagen möglich sind. Mit Blick auf neue und alte Geschäftsmodelle erweist sich die Digitalisierung als Innovationsmotor, allein die Energiewirtschaft setzt sich schon seit einigen Jahren intensiv mit den neuen Möglichkeiten beispielsweise digitaler Kundenbeziehungen auseinander. Personalabteilungen und Bildungsanbieter grübeln ebenfalls schon seit geraumer Zeit darüber nach, wie heutige und künftige Fachkräfte fit gemacht werden können für digitale Anwendungen und Steuerungsmöglichkeiten oder für den Umgang mit Big Data und Cloud Computing. Noch mehr Kopfschmerzen bereitet es den Expertinnen und Experten, welche arbeitsorganisatorischen oder -rechtlichen Dimensionen sich mit der Digitalisierung verbinden – beispielsweise mit Blick auf Arbeitnehmerschutz, IT-Sicherheit oder flexibilisierte Arbeitsformen. Und das berufliche bzw. akademische Ausbildungssystem kann sich zwar leicht auf die Forderung nach einem Lebenslangen Lernen verständigen, damit ist aber die Frage nicht beantwortet, ob gerade das stark regulierte deutsche Ausbildungssystem nicht zugunsten einer angelsächsisch anmutenden Flexibilisierung völlig neu geordnet werden muss. Mit anderen Worten: Nachgedacht wird sehr viel, aber nach wie vor sind die Konsequenzen der Digitalisierung im Detail noch überhaupt nicht abzusehen, geschweige denn zu planen.

Mehr Fragen als Antworten

In den an vielen Stellen zu Recht geführten Debatten zeigt sich das wohl größte Problem der Digitalisierung: Es gibt im Moment weit mehr Fragen als Antworten. Und das ist insofern hoch problematisch, weil die Herausforderungen längst konkret sind. Junge Menschen müssen sich ständig und sehr konkret für ein Berufsfeld entscheiden – ohne so richtig zu wissen, ob es die Tätigkeit eigentlich in zwanzig Jahren überhaupt noch geben wird. Unternehmen müssen heute schon mittel- und langfristige Geschäftsstrategien entwickeln – und wissen (gerade in der KMU-dominierten Umweltwirtschaft) meistens nicht, wie die Rahmenbedingungen künftig aussehen werden. Ausbilder/innen und HR-Verantwortliche müssen den Beschäftigten konkrete Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten anbieten können – aber welche Inhalte sollen denn eigentlich vermittelt werden? Die Sozialpartner ringen um die behördlichen, tarifvertraglichen und arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen der schönen neuen Arbeitswelt – wie aber soll man heute diesen Rahmen verhandeln, wenn er sich gerade erst als Schattenriss andeutet? Und nicht zuletzt fließen auch heute schon Digitalisierungsthemen in akademische Curricula oder Ausbildungsordnungen ein – wobei man vermuten darf, dass unsere Ordnungsprozesse mit dem Tempo der digitalen Revolution schlicht nicht weiter mithalten können. Etwas verkürzt gesagt: Es ist ein massives Problem eigentlich für alle Akteure gerade auch im Berufsorientierungsprozess, dass die Digitalisierung nach wie vor eher abstrakt und als Mega-Trend behandelt wird, während die Herausforderungen längst aktuell und sehr konkret sind.

Digitalisierung als und im Beruf

Üblicherweise reagiert das deutsche Ausbildungssystem auf neue Herausforderungen wahlweise durch die Implementierung der jeweils neuen Inhalte in Curricula und Ausbildungsordnungen bzw. durch die Einführung neuer und angepasster Ausbildungs- oder Studienberufe. Der klassische Klempner ist ja mittlerweile längst als Anlagenmechaniker SHK zu einer der wichtigsten Säulen des grünen Handwerks geworden. Die traditionelle Ingenieurin wiederum hat angesichts zahlreicher spezialisierter Studiengänge heute jede Möglichkeit, sich auf innovative Technologien beispielsweise im Bereich regenerativer Energien zu konzentrieren. Mit Blick auf die Digitalisierung hat es nun auch bereits wesentliche Ordnungsschritte gegeben: Die belächelten und etwas tageslichtscheuen Computerfreaks aus den Kinderzimmern und elterlichen Garagen sind schon vor langer Zeit  in „ordentliche“ IT-Berufe und -Studiengänge überführt worden, die sich in den letzten Jahren noch einmal weiter auf einzelne Anwendungsfelder spezialisiert haben. Der traditionellen Logik folgend haben sich also längst „Digitalisierungsberufe“ etabliert, die vermutlich auch noch am besten mit den künftigen Herausforderungen werden umgehen können. Nur ist mit dem Thema „Digitalisierung ALS Job“ das viel größere Thema „Digitalisierung IM Job“ keineswegs erschöpfend behandelt. Im Gegenteil liegt das Problem ja gerade darin, dass die Digitalisierung mutmaßlich in buchstäblich alle Berufsfelder vordringt und sich gerade nicht an Spezialist/innen delegieren lässt. Um beim Beispiel der umwelt- und klimaschutzbezogenen Berufe zu bleiben: Digitaltechnologien wie die Fernwartung von Windenergieanlagen, vernetzte Steuerung von Abwasserreinigungsprozessen, das GIS-gesteuerte Monitoring von faunistischen oder floristischen Beständen, die Etablierung komplexer Anwendermodule im Bereich smart homes oder selbst die einfachste Bürosoftware eines jeden Umweltunternehmens – das alles sind ja Funktionalitäten, die eben gerade nicht an IT-Spezialist/innen delegiert werden können. Sie sind im Gegenteil elementare Arbeitstechniken des jeweiligen Berufsfeld und als solche von Unternehmen nachgefragt, von Ausbilder/innen vermittelt, von Fachkräften gelernt und von Berufsorientierungskräften kommuniziert.

Berufsorientierung 4.0?

Und um die Sache noch etwas zu verkomplizieren: Genau wie in der BNE- bzw. BBNE-Szene wird natürlich auch in der Berufsorientierung über Digitalisierung nicht allein als Kompetenzfeld oder als „Lerninhalt“ nachgedacht, sondern über die damit einhergehenden instrumentellen Möglichkeiten. Denn wo noch vor wenigen Jahrzehnten die Berufsberater/innen der Arbeitsagentur mit ihren gedruckten Eignungstests und Infoblättern durch die Schulen zogen, sind diese „Tools“ längst in digitaler Form und online-gestützt abrufbar. Und zwar nicht nur als Bildschirmversion eines mal als Schriftwerk gedachten Wissensbestands mit diversen Querverweisen wie beispielsweise BERUFENET, sondern auch in zielgruppengerechter Darstellung als Planet Beruf oder auf Basis von Informationsvideos wie zum Beispiel bei Azubot. Aber auch online-gestützte Neigungstests wie dem Berufecheck des Projekts „Energiewende schaffen“ oder gar als Serious Game wie zuletzt das Computerspiel Serena Supergreen sind aktuelle Formen der Vermittlung. Doch so weitreichend die digitalen Möglichkeiten der Berufsorientierung auch sind, darf man doch nicht verkennen, dass sie nur ein Einflussfaktor in einem sehr viel komplexeren Prozess sind. Bis heute spielen ebenso andere Faktoren wie der Austausch in Familie, peer group oder anderen sozialen Beziehungen eine gewichtige Rolle. Und nach wie vor ist natürlich auch die Möglichkeit einer praktischen Berufserkundung im Rahmen von schulischen Praktika oder an außerschulischen Lernorten gefragt. Ob es eines Tages gelingt oder überhaupt gelingen soll, die konkrete Berufswahl – die ja auch von emotionalen, kulturellen und sozialen Bildern geprägt ist – mithilfe digitaler Vermittlungsmethoden maßgeblich zu beeinflussen, steht wie so vieles bei diesem Thema in den Sternen.

Ändern sich Inhalte oder Formate?

Aber zurück auf den Boden: Die eingangs formulierte Frage nach einer klima- und umweltbezogenen Berufsorientierung in einer sich zunehmend digitalisierenden Arbeitswelt ist in fast all ihren Dimensionen leicht gestellt, aber nur schwer beantwortet. Weder ist klar, wie konkret die Digitalisierungsprozesse auf die Arbeitswelt einwirken, noch wie sich die einzelnen Berufsbilder darauf einstellen werden. Dementsprechend können die unterschiedlichen Akteurinnen und Akteure einer grünen Arbeitswelt das Thema kaum antizipieren, sondern sich bestenfalls darüber freuen, dass mit der Digitalisierung ja auch neue Einsatzfelder und Kommunikationsformen verbunden sind. Als „Inhalt“ einer Berufsorientierung ist die Digitalisierung jedenfalls – mit Ausnahme vielleicht der originären IT-Berufe – kaum vermittelbar, schon allein weil diese Inhalte, Techniken und Tools schon in dem Moment überholt sind, in dem die Lehreinheit konzipiert, erprobt und in der Breite angekommen ist. Damit stellt sich die Frage, ob die bislang bewährten Formate sowohl des (Aus-)Bildungswesens wie auch der Berufsorientierung nicht im Zuge der Digitalisierung an ihre Grenzen gekommen sind. Wenn die Digital Natives sich via WhatsApp oder YouTube bestimmte Wissensbestände schneller zu eigen gemacht haben als jemals ein Curriculum oder Ausbildungsordnung geschrieben werden kann, dann mag man das als den Abschied von jahrhundertealten Lernformen beklagen oder als „Wikipediarisierung“ bewährter Wissensbestände apostrophieren. Ändern wird das rein gar nichts, denn es reicht ein schneller Blick in die Geschichte um zu lernen, wie Menschen bereits zuvor mit Revolutionen in der Preisklasse der Digitalisierung umgegangen sind.

Das Medium ist die Botschaft

Der Vergleich der Digitalisierung mit der Etablierung der Schrift oder der Verbreitung des Buchdrucks ist durchaus nicht an den Haaren herbeigezogen. Im Gegenteil ließe sich in der Rückschau vielleicht etwas darüber lernen, wie sich eine Berufsorientierung auf radikal geänderte Rahmenbedingungen einstellen kann. Man könnte vermutlich die These wagen, dass ein zu stark formalisiertes Ausbildungswesen mit der Geschwindigkeit der digitalen Innovationen überhaupt nicht mehr Schritt halten kann und damit der Abschluss einer geregelten Ausbildung oder eines vertiefenden Studiums zugunsten eines eher modular aufgebauten und ständigen Kompetenzerwerbs an Bedeutung verlieren wird. Vielleicht muss eine Berufsorientierung, die bislang den Anspruch vertrat, den Fachkräfte von morgen mit Methoden von gestern etwas über die Arbeitswelt von übermorgen zu vermitteln, künftig auch etwas bescheidener auftreten, weil schlicht niemand absehen kann, welche Tätigkeiten in wenigen Jahrzehnten überhaupt noch Basis einer Erwerbstätigkeit sind. Und noch mehr spricht dafür, junge Menschen viel stärker in ihren Selbstlernfähigkeiten und ihrer kritischen Offenheit gegenüber Digitalisierungstendenzen zu stärken, statt sie in Schule, Ausbildung und Studium auf konkrete Wissensbestände zu eichen. Denn die Digitalisierung wird ebenso wenig der Untergang der Menschheit sein wie es der Buchdruck war. Unter die Räder gekommen sind seinerzeit bestimmte Institutionen, Regeln und Verfahren – nicht aber die Menschen und Arbeitskräfte, die sich dank Meta-Fähigkeiten wie Anpassungsgeschwindigkeit, Offenheit, aktive und passive Kritikfähigkeit, Medienkompetenz und vielem mehr auf die geänderten Rahmenbedingungen einstellen konnten.