Globales Lernen in der Berufsbildung
Inhalte, Projekte und Herausforderungen
Interview: Nadine Horatz
Bildung für nachhaltige Entwicklung ist vielen Menschen ein Begriff – Globales Lernen kennt hingegen nicht jede*r. Was sich dahinter verbirgt, und wie auch in diesem Bereich berufliche Bildung und Nachhaltigkeit vorangetrieben werden können, erklärt Dr. René Michalsky von unserem Netzwerkmitglied Trafo e.V.
Netzwerk Grüne Arbeitswelt: Globales Lernen ist nicht allen ein Begriff. Können Sie uns eine kurze Definition geben und erklären, inwiefern es hier auch um berufliche Bildung geht? Und was der Unterschied zur Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) ist?
Dr. René Michalsky: Globales Lernen versucht die Zusammenhänge und Abhängigkeiten von Lebenswelten in allen Teilen der Welt zu ergründen, zu reflektieren und zu kritisieren. Hier geht es viel um historisch gewachsene Ungleichheiten und Missstände, insbesondere mit Blick auf den sogenannten globalen Süden. Globales Lernen kann und soll im Sinne des Konzepts des lebenslangen Lernens überall stattfinden. Bildung für Nachhaltige Entwicklung ist sehr viel stärker an die real-existierenden Bildungskontexte in und außerhalb von Schulen gekoppelt. Hier stehen die Verschränkungen von ökologischen, ökonomischen und sozialen Dimensionen im Mittelpunkt. Nachhaltigkeit braucht immer alle drei Dimensionen, ist die wesentliche Aussage. Auch hier kann und soll es um eine globale Perspektive gehen, dies ist aber nicht so ausdrücklich der Fall wie im globalen Lernen. Beide Formate können und sollten in der beruflichen Bildung Anwendung finden.
Welche Schwerpunkte werden in der Berufsbildung im Bereich des Globalen Lernens gesetzt?
Es gibt verschiedene Akteure in der beruflichen Bildung und es gibt, ganz wichtig für Deutschland, die duale Berufsausbildung. Außerdem gibt es die Fachschulen, an denen ausgebildet wird, wo dann nur Praktika stattfinden. Von daher konzentriert sich jeder Akteur, der in der beruflichen Bildung unterwegs ist, vor allem auf die Ausbildung, auf einen von den mehreren hundert Ausbildungsgängen. Dort anzusetzen mit beruflicher Bildung – mit BNE – muss natürlich dem jeweiligen Kontext gerecht werden.
Welche Formate werden genutzt und wie werden dort berufliche Fragestellungen und das Thema Nachhaltigkeit integriert?
An sich handelt es sich hauptsächlich um Projekttage. Diese sollten auf jedenfall Berufsfeldbezug haben. Inhaltlich steht das Thema der Beschaffung, also des Einkaufs, im Vordergrund, gerade in der Produktion ist natürlich die Herkunft der Ressourcen wichtig, und Fragen des Abfalls. Das sind die Bereiche, wo noch am ehesten das Thema Nachhaltigkeit behandelt wird. Die Nord-Süd-Perspektive kann man herstellen, indem man an die Interkulturalität in den Betrieben andockt. Gerade jetzt nach 2015 sind in viele Ausbildungsbetriebe auch junge Menschen mit Migrationshintergrund gekommen.
Sie erwähnen im Flyer Ihres Projekts Glo:Be explizit, dass Sie in gemischten Teams arbeiten, also migrantische und nicht migrantische Referent*innen einsetzen. Zielt das darauf ab, die Nord-Süd-Perspektive greifbarer zu machen
Natürlich. Ein ganz zentrales Ergebnis der Evaluation der entwicklungspolitischen Wirkung durch entwicklungspolitische Bildung ist, dass die Authentizität der Referent*innen von großer Bedeutung ist. Deswegen versuchen wir Menschen einzusetzen, die Migrationserfahrung haben. Dabei sind für uns auch Personen wichtig, die im Rahmen von Freiwilligendiensten oder von längeren Arbeitseinsätzen im Ausland waren und eine authentische Perspektive bieten können. Diese Diversität ist uns wichtig, um da anzudocken – auch um die Nord-Süd-Perspektive herzustellen, aber natürlich ebenso, um den Teilnehmenden eine Identifikation mit dem Referenten bzw. der Referentin zu ermöglichen.
Mit Glo:Be sind Sie ja ausschließlich im Bereich der Berufsbildung unterwegs. Können Sie kurz erläutern, was Ihre Ziele sind und warum Sie in diesem Projekt Fragen zur Nachhaltigkeit und zu Flucht und Migration in den Vordergrund stellen?
Ich glaube, das Wichtigste an dem Projekt ist: Es ist historisch gewachsen und auf 2015 zurückzuführen, auf die sogenannte „Geflüchtetenwelle“. Damals haben wir angefangen, uns auf die Gruppe der sozialen Berufe der Erzieher*innen zu konzentrieren, weil wir gesehen haben, dass unbegleitete Minderjährige aufgenommen werden und es dafür auf jeden Fall entsprechender Kompetenzen bedarf. Das wurde in dieser Zeit von den Berufsschulen sehr wohlwollend angenommen. Auf der anderen Seite haben wir uns damals auch gesagt, dass wir bewusst in die ländlichen Regionen gehen, weil dort der Impact des Königssteiner Schlüssels, der die Verteilung auf die Kommunen bestimmt, besonders signifikant war. Wenn dort zwei Prozent mehr Menschen aus unsicheren Herkunftsländern wohnen, ist das etwas ganz anderes als zum Beispiel in Frankfurt oder München, wo es sowieso schon relativ heterogen ist. An diesem traditionellen Fokus auf die ländlichen Regionen haben wir auch festgehalten. Unser Ziel ist: Wir versuchen den Menschen niedrigschwellig einen Einstieg in die Thematik Nachhaltigkeit mit dem Schwerpunkt Flucht und Migration zu ermöglichen, der allerdings über die Jahre ein bisschen weniger geworden ist. Vor dem Hintergrund der Fridays-for-Future-Bewegung geht es jetzt eher Richtung Nachhaltigkeit/Ökologie, da wir immer auch versuchen, an die aktuellen gesellschaftlichen Diskurse anzuknüpfen.
Wie ist die Globales Lernen-Community untereinander vernetzt? Welche Akteure sind hier besonders aktiv?
Ich würde sagen, es gibt dort keine wirkliche Community. Das einzige Akteursnetzwerk, das funktioniert, ist GloNet, das vom EPIZ Berlin initiiert ist. Letzteres setzt sich seit mehreren Jahren für die Erstellung von Unterrichtsmaterialien für verschiedene Ausbildungsgänge ein. Nennen möchte ich aber auch meine Kollegin Frau Csepe-Bannert vom Projekt Zukunftstalent von CorEdu gUG, für welches ich ja auch arbeite. Zudem WUS Germany, mit dem Projekt Grenzenlos. Außerdem gibt es verschiedene Programme: Aktuell laufen Modellvorhaben des BIBBs zur Entwicklung von Lern- und Lehrmaterial im beruflichen Kontext. Ebenso befindet sich jetzt das Programm „Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung befördern. Über grüne Schlüsselkompetenzen zu klima- und ressourcenschonendem Handeln im Beruf (BBNE)“ in der zweiten Förderperiode, für das wir als CorEdu, Zukunftstalent, vom ESF und BMU gefördert werden. Dort geht es darum, pilothaft Projektwochen an der Schnittstelle Berufsorientierung und Nachhaltigkeit zu entwickeln. Und viele der Akteur*innen sind ja auch im Netzwerk Grüne Arbeitswelt vertreten.
Was sollten Bildungsanbieter, Ausbilder*innen oder Lehrkräfte beachten, wenn sie das Thema Globales Lernen in Berufsbildungsangebote für Jugendliche und junge Erwachsene integrieren möchten? Wo liegen die Herausforderungen?
Für Bildungsanbieter ist die Herausforderung, sich mit ganz vielen verschiedenen Berufsschulen und mit der Vielfalt der Ausbildungsgänge auseinanderzusetzen. Bei Ausbilder*innen ist es oft so, dass Nachhaltigkeit kein Gegenstand ihrer Ausbildung ist und sie daher nicht „fähig“ sind, diese zu vermitteln. Als Lehrkraft ist es ähnlich. Und dann gibt es die typischen Probleme: Die Lehrkräfte sind überlastet, der Lehrplan ist zu voll und es gibt kaum Erfahrungen mit außerschulischen Bildungsträgern von Seiten der Schulleitung. Das heißt, es gibt einen relativ hohen Abstimmungsbedarf, weil völlig neue Lernformate eingesetzt werden. Was wir immer wieder feststellen: Die Schüler*innen sind, je nach Schule, gar nicht gewohnt, in solchen offenen, dynamischen Kontexten zu interagieren. Bei Nachhaltigkeitsbildung ist es ja eigentlich intrinsisch, dass wir versuchen, jeden mitzunehmen und partizipativ und gleichberechtigt zu agieren – was nicht häufig der Situation vor Ort entspricht. Dann kommen wir punktuell rein und sind am nächsten Tag wieder weg. Zudem ist es ein relativ hoher Vorbereitungsaufwand, wenn man wirklich auch auf die Nachhaltigkeit in den unterschiedlichen Berufsfeldern eingehen möchte. Da muss man sich erstmal umfassend darüber informieren, wo man ansetzen könnte, damit man die Zielgruppe da abholt, wo sie gerade steht.
In welcher Form sollte sich das Globale Lernen in der beruflichen Bildung zukünftig weiterentwickeln? Was sind wichtige Stellschrauben? Wo würden Sie ansetzen und was wünschen Sie sich ganz konkret für Ihr Projekt?
Wir erhoffen uns, dass die Lehrpläne sukzessive erweitert werden. Für alle dualen Ausbildungsgänge gab es eine Pressemitteilung dieses Jahr, ich zitiere: „Deshalb haben wir die Themen Digitalisierung, Umweltschutz und Nachhaltigkeit ins Pflichtprogramm aller dualen Ausbildungen aufgenommen“ (BMBF 2020, mehr dazu im Interview „Grüne Kompetenzen für alle Azubis“). Inwiefern das auch prüfungsrelevant ist und es damit auch für die Schulen verpflichtend wird, dort Angebote anzubringen, ist relativ vage. Da müsste es mehr Verordnungen geben. Was ich für uns hoffe, ist, dass wir langfristige Beziehungen mit vielen verschiedenen Berufsschulen aufbauen, auch neue Ausbildungsgänge erschließen und dass wir den Support von den Entscheidungsträger*innen in der Verwaltung bekommen, sowohl materiell als auch ideell, um unsere Projekte durchführen zu können.