Zeit zum Handeln

Mann mit grauen Haaren schaut eindringlich
© Fabian Stürtz / WILA Arbeitsmarkt

Entscheidungen für die Post-Corona-Welt müssen her: Zurück ins Gewohnte oder Aufbruch in die grüne Arbeitswelt?

Kommentar: Krischan Ostenrath

Im Umfeld des jüngsten Petersberger Klimadialogs bilden sich in der Diskussion um den Wiederaufbau der deutschen und europäischen Wirtschaft sehr interessante Allianzen. Neben den üblichen Verdächtigen werden aktuell Positionen vertreten, die noch vor wenigen Jahren nicht konsensfähig gewesen wären. Doch so erfreulich das auch ist – für die Umsetzung einer ökologisch ausgerichteten Aufbaustrategie für die Post-Corona-Zeit braucht es wesentlich mehr als Bekenntnisse, nämlich handfeste Umsetzungsplanungen.

Im Schatten der aktuellen Corona-Pandemie, aber doch durchaus laut und deutlich, hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Rahmen des Petersberger Klimadialogs ein Bekenntnis zu den europäischen Klimaschutzzielen abgegeben. Dieses Ja zu den Zielen des Green Deals kommt einer Verschärfung der bislang geltenden Klimaschutzziele der deutschen Bundesregierung (dargestellt im sog. „Klimaschutzplan 2050“) gleich und ist in seinen Konsequenzen kaum abzusehen. Kaum abschätzbar ist dieses klare Bekenntnis der Regierungschefin in zweierlei Hinsicht: Zum einen ist aktuell nur sehr schwer auszumachen, wie sich diese Zielverschärfung auf die grüne Arbeitswelt und – noch weitergehend – auf den gesamten deutschen und europäischen Arbeitsmarkt auswirken wird. Und zum anderen ist derzeit vollkommen offen, ob und wie sich diese Position in konkrete Schritte, Maßnahmen und Programme übersetzen lassen wird.

Überraschende Bekenntnisse

Dass Umweltverbände oder Akteur/innen aus Wissenschaft und Forschung daran erinnerten, dass im Kampf gegen das Virus der langfristig viel entscheidendere Kampf gegen den Klimawandel nicht vergessen werden dürfe, ist wenig überraschend. Zuletzt waren aber auch Stimmen von unerwarteter Seite laut geworden, die aktuell diskutierten Aufbauhilfen für die deutsche Wirtschaft nach der Corona-Krise zwingend an klima- und umweltschutzbezogene Vorgaben zu koppeln. Als Schwabe natürlich besonders pünktlich äußerte sich kurz vor dem Start des Klimadialogs Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble in einem viel diskutierten Interview mit dem Berliner Tagesspiegel zu den Folgen der Corona-Pandemie: „Noch immer ist nicht nur die Pandemie das größte Problem, sondern der Klimawandel, der Verlust an Artenvielfalt, all die Schäden, die wir Menschen und vor allem wir Europäer durch Übermaß der Natur antun. Hoffentlich werden uns nicht wieder nur Abwrackprämien einfallen, die es der Industrie ermöglichen, weiter zu machen wie bisher.“ Die klare Absage an die industriepolitischen Wiederbelebungsinstrumente der letzten Finanzkrise war aus Schäubles Mund in dieser Deutlichkeit dann ebenso überraschend wie die Verbindung zwischen aktueller Corona- und chronischer Klimakrise.

Nicht wenige waren auch verblüfft, dass es der Stiftung Zwei Grad gelungen war, im Vorfeld des Petersberger Klimadialogs ein Bündnis von 68 deutschen Unternehmen zu schmieden, das sich in einem Positionspapier eindeutig zu einem integrierten Klima-Konjunkturprogramm bekannte. So unerwartet der Vorstoß Wolfgang Schäubles auf politischer Ebene war, so überraschend war hier der Schulterschluss von grünen Pionierunternehmen wie unserem Netzwerk-Mitglied Naturstrom, Schneider Electric und Vaude mit E.ON, Vattenfall oder Wacker Chemie. Schließlich hatte man letztere bislang wohl kaum als übertrieben ökologisch engagiert wahrgenommen. Auch auf internationaler Ebene waren Vorstöße von unerwarteter Seite gekommen: So schlossen sich Hunderte von Finanz- und Investitionshäusern – auch diese stehen ja nun wirklich nicht im Ruf, freiwillig auf Gewinnmöglichkeiten zu verzichten – zur „Investor Agenda“ zusammen und fordern in einem „global statement on a sustainable recovery from the COVID-19 pandemic“ die Einhaltung der Pariser Vereinbarungen gerade auch in der Post-Corona-Ära.

Warum nicht einfach weiter so?

Die Erweiterung des Spektrums derjenigen Akteur/innen, die sich für eine klare Ausrichtung der milliardenschweren Wiederaufbauhilfen an den europäischen Klimaschutzzielen aussprechen, ist letztlich Ausdruck unterschiedlicher, aber miteinander verschränkter Zugänge. In der Debatte sind im Wesentlichen drei Motive erkennbar, den Doppelschlag von wirtschaftlichem Wiederaufbau und nachhaltiger Wirtschaftsweise anzugehen. Das offensichtlichste Motiv ist natürlich das ökologische Argument – denn wenn es nicht gelingt, jetzt nicht nur über Weichenstellungen zu reden, sondern die Weichen auch zu stellen, braucht man sich mittelfristig über alle anderen Fragen auch keinen Kopf mehr zu machen. Alle staatlichen oder unternehmerischen Akteur/innen werden dann schlicht und einfach vor der Situation stehen, dass ein Großteil der materiellen und immateriellen Ressourcen in den Kampf gegen die Auswirkungen des Klimawandels fließen muss. Das kann sogar ein deutscher Automobilhersteller oder einer der Big Four der Energiewirtschaft nicht wollen.

Zum anderen ist es eine Frage der ökonomischen Vernunft, die Wirtschaftshilfen mit der Klimawende zu verbinden. Denn da man Geld – zumindest in der Realwirtschaft – nur einmal ausgeben kann, wird es keinem Land dieser Welt gelingen, den anstehenden Kraftakt noch ein zweites Mal hinzubekommen. Die Ressourcen von Staaten, Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Akteur/innen zur Bewältigung der Corona-bedingten Folgen werden zwangsläufig gigantisch sein müssen. Nicht ohne Grund erwartete die deutsche Bundeskanzlerin Verteilungskämpfe. Diese können aber unmöglich einseitig zugunsten klassischer industriepolitischer Programme aufgelöst werden. Eine Strategie „Erst retten wir die Wirtschaft, dann retten wir das Klima“ kann allein deshalb schon unmöglich aufgehen, weil man dafür nahezu zeitgleich so große Summen aktivieren müsste, wie sie selbst im besten Falle überhaupt nicht verfügbar wären. Allein schon aus diesem Grunde wären industriepolitische Klassiker wie ungezielte Abwrackprämien oder die Senkung von Umweltauflagen nicht nur einfallslos, sondern in der aktuellen Situation ein wirklicher Skandal.

Und aus Sicht des Netzwerk Grüne Arbeitswelt spricht für die Kopplung beider Ziele natürlich auch das arbeitsmarktpolitische. So nachvollziehbar die Sorgen der vielen Arbeitnehmer/innen um ihre Arbeitsplätze in den konventionellen Wirtschaftszweigen auch sind, so wenig hat es je Sinn gemacht, in transformationsunfähige (oder -willige) Industriezweige Subventionen zu stecken. Das galt und gilt für den Energiesektor und muss künftig auch für Mobilität oder Konsum gelten. Man wird sich ganz sicher über die sozialverträgliche Abfederung eines Wandels hin zur grünen Arbeitswelt unterhalten müssen, aber es wäre geradezu Irrsinn, mit Abwrackprämien, steuerlichen Privilegien oder anderen Anreizsystemen den Weg zurück ins fossile Zeitalter zu ebnen. Sichere und zukunftsfähige Arbeitsplätze können langfristig nur die sein, die zumindest keine Katalysatoren der Klimakrise sind.

Steinig, aber notwendig

Es ist also grundsätzlich sehr erfreulich, dass sich nun eine breite Allianz derjenigen bildet, die Klimaschutz und Wirtschaft als zwei Seiten derselben Medaille betrachten. Allerdings: Es gibt auch Gegenstimmen beispielweise aus dem Lager des Bundesverbands der Deutschen Industrie e.V. (BDI), der Wirtschaftsunion oder ihren Freunden aus der deutschen Automobilindustrie, die Investitionen in die fossilen Wirtschaftszweige als industrie- und arbeitsmarktpolitische Notwendigkeit verkaufen. Der Verteilungskampf ist also eigentlich schon längst im Gange. Und ja, zum jetzigen Zeitpunkt könnte man die Neuentdeckung der Nachhaltigkeit von unerwarteter Seite auch als anlassbezogene PR, Greenwashing und folgenlose Sonntagsreden verstehen. Und noch mal ja, letztlich sind nationale und vielleicht auch europäische Alleingänge aus Wettbewerbsgründen nicht ohne Risiko – und von weltweiter Einigkeit in Sachen Green Economy sind wir ja nun Lichtjahre entfernt. Aber auch ein steiniger Weg in die richtige Richtung wäre für den Aufbau einer dekarbonisierten Wirtschaft deutlich besser als die umgekehrte Richtung hin zur Industriepolitik der letzten Jahrzehnte.

Unstrittig ist dabei, dass die Wirtschaft nach dem Lockdown Starthilfe brauchen wird. Ob man diese Erholung nun als rasante Bergfahrt oder eher langsamen Weg begreift, sei dahin gestellt. Klar ist aber, dass man schon mit Blick auf die Arbeitsplätze nicht ohne gezielte Wachstumsanreize auskommen wird. Speziell Deutschland steht mit dem Instrument der Kurzarbeit im internationalen Vergleich ja noch relativ gut da, dennoch ist die jüngste Zahl von mehr als 10 Millionen potenziell Betroffenen eine bislang noch nie dagewesene Größenordnung. Auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) verweist auf den massiven Einbruch bei den offenen Stellen um fast ein Viertel. Und diese Zahl bezieht sich sogar nur auf das erste Quartal 2020 und dürfte bei der nächsten IAB-Stellenerhebung im zweiten Quartal noch deutlich höher sein. Da blieb dann auch Detlef Scheele, dem Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit, in einer Stellungnahme nur noch der Hinweis, dass die arbeitsmarktlichen Bewegungen um ein Vielfaches höher sein werden als während der „Großen Rezession“ der Jahre 2008/2009.

Branchenspezifische Lösungen

Der Handlungsbedarf ist also nicht nur in wirtschaftspolitischer Hinsicht offensichtlich, sondern gerade auch mit Blick auf die arbeitsmarktlichen Verwerfungen. Deshalb besteht ein bislang unterschätztes, aber höchst kritisches Problem darin, dass es jenseits der Überschriften überhaupt keine ausdifferenzierte Strategie für die alten und/oder neuen Klimaschutzziele gibt. Natürlich existieren vereinzelte Förderinstrumente oder Investitionsanreize, die in Richtung Green Economy deuten. Und selbstverständlich gibt es jede Menge mehr oder weniger guter Ideen, wie man staatliche Mittel lenken müsste, um die deutschen und europäischen Klimaschutzziele zu erreichen und damit Arbeitsplätze zu sichern oder aufzubauen. Aber eine Gesamtstrategie ist das nun mal nicht, von einer differenzierten Strategie ganz zu schweigen. Gesamtstrategisch fehlt ja bislang sogar ein Leitbild, ob und ggf. mit welchen Mitteln der Umbau erfolgen sollte: Dürfen es Dauersubventionen sein oder nur Investitionsanreize? Wie sollten Regionen mit nicht zukunftsfähigen Strukturen aufgefangen werden? Und braucht es Gesetze oder gar Verbote für klimaschädliches Verhalten?

Und jenseits dieser beliebig verlängerbaren Sammlung offener Fragen ist es ja ohnehin verhältnismäßig leicht, ein ambitioniertes Ziel zu formulieren. Verteufelt schwer ist es aber, einen klaren Weg zur Zielerreichung zu beschreiben. Und das auch noch aus verschiedenen Richtungen, denn die Roadmap muss für den Energiesektor ja völlig anders aussehen als für eine ökologische Ausrichtung der Landwirtschaft oder den Mobilitätsbereich. Hierzu gibt es bislang nur erste und nicht konkretisierte Vorschläge beispielsweise in einer Kurzmitteilung der Gesellschaft für wirtschaftliche Strukturforschung (GWS) unter dem Titel „Die Post-Corona-Welt. Investitionen in Wirtschaft und Umwelt“. Diese Vorschläge sind aber naturgemäß noch weit entfernt von operationalisierten Förder- und Investitionsprogrammen, zudem nehmen sie nicht die vollständige Dimension der Green Economy in den Blick. Das Netzwerk Grüne Arbeitswelt hat sich ja nicht ohne Grund um 16 verschiedene Berufsfelder herumgruppiert, denn die Arbeitsmärkte in der Forstwirtschaft sind nun einmal völlig andere als im grünen Finanzwesen. Und diese Binnendifferenzierung der Green Economy müsste sich auch in einer Post-Corona-Strategie zur ökologischen Neuaufstellung der deutschen Wirtschaft wiederfinden. Denn auch hier wird man beispielsweise für die Landwirtschaft völlig andere Antworten finden müssen als für den Handel oder die Produktionsstätten. Nun ist es sicher nicht die Aufgabe von Grußworten, Pressemitteilungen und Positionspapieren, eine differenzierte Strategie zu entwerfen. Aber solange eine solche integrierte und gleichzeitig binnendifferenzierte Gesamtstrategie nicht mal im Ansatz erkennbar ist, solange wird es bei mehr oder weniger ambitionierten Zielsetzungen im Klimaschutz und damit auch in der grünen Arbeitswelt bleiben. Und beim auch bisher schon zu beobachtenden Verfehlen dieser Ziele, weil man leider den Weg dahin nicht kannte oder nicht wirklich energisch genug beschreiten wollte.

Insofern sind die neuen Allianzen, die in der Krise auch die Chance auf eine Neuausrichtung sehen, grundsätzlich sehr zu begrüßen. Wenn es aber wirklich gelingen soll, die grüne Arbeitswelt damit gezielt zu stärken oder langfristig gar die Unterscheidung von grünen und nicht ganz so grünen Berufsfeldern ganz obsolet zu machen, dann wäre jetzt der Zeitpunkt, die Expert/innen für die einzelnen Wirtschafts- und Arbeitsmärkte an einen Tisch zu holen. Und die Türen dieses Beratungsraums nicht wieder zu öffnen, bevor die Vision eines Post-Corona-New-Green-Deal-Wirtschaftswunders mit klaren, terminierten und differenzierten Wegbeschreibungen unterfüttert ist.