In eigener Sache

Ohne Praxis keine Erfahrung!

© Netzwerk Grüne Arbeitswelt

Die NGA-Jahreskonferenz 2024 in Kooperation mit der Deutschen Bundesstiftung Umwelt

Wie lassen sich Berufe für den Umwelt- und Klimaschutz sichtbar machen? Wie finden Menschen heraus, ob und wie sie sich beruflich für eine nachhaltige Zukunft einsetzen möchten? Welche praxisbezogenen Methoden gibt es dafür? Und wo liegen die Herausforderungen? Mit solchen Fragen beschäftigten sich am 19. November 2024 auf der diesjährigen Konferenz des Netzwerk Grüne Arbeitswelt (NGA) 90 Akteur*innen aus Bildung, Wirtschaft, Wissenschaft, Medien und Politik. In Zusammenarbeit mit der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) lud die Tagung unter dem Motto „Ohne Praxis keine Erfahrung: Berufliche Orientierung muss Raum zum Ausprobieren schaffen“ mit abwechslungsreichen Formaten zum gemeinsamen Austausch in die Landesvertretung Bremen in Berlin ein.

Bericht: Sabrina Jaehn

Direkt im Anschluss an die Begrüßung des Netzwerkkoordinators Krischan Ostenrath und der Grußbotschaften von Dr. Johanna Börsch-Supan aus dem BMBF sowie Alexander Bonde von der DBU kamen im Talk „Mein Weg in die Arbeitswelt“ fünf Menschen zu Wort, die selbst ganz unterschiedliche Arten der beruflichen Orientierung durchlaufen oder aber solche Angebote vermisst haben: Moritz Klug ist ehemaliger Schüler des Werner-von-Siemens-Gymnasiums und war dort isogenannten „Schnellläuferzweig“. Das heißt, vier Tage Unterricht und am fünften Tag Projektarbeit – bspw. im Bereich Management. Hier hat er u.a. einen Beachclub mit aufgebaut. Ergänzt wurde das in der Klasse 11 um einen Studien- und Berufskurs. Paul Wiegand hingegen hat die Peter-Lenné-Schule besucht und dort die integrierte Berufsausbildungsvorbereitung (IBA) absolviert. In diesem Bildungsgang hat er unter anderem ein Praktikum bei einem Hufschmied gemacht. Lina Trägener ist heute Auszubildende beim Bio-Hotel Landgut Stober und verbindethier nun ihre vorab durch Jobs gesammelte Erfahrung in der Gastronomie mit dem Thema Nachhaltigkeit. Ihr fehlten gute Angebote in der Berufsorientierungsphase. Sie ist sich heute sicher, dass sie ansonsten, ohne das Abitur zu absolvieren, direkt in eine Ausbildung gestartet wäre. Für den aus einer Akademikerfamilie stammenden Auszubildenden Valentin Kaiser war spätestens nach einem Wasserschaden bei sich zuhause klar: „Ich möchte ins Handwerk.“ So entschied er sich für eine Ausbildung in einem SHK-Betrieb. Letzten Sommer besuchte er außerdem das Klimacamp der Innung SHK Berlin – ein Angebot, dass er sich in seiner Berufsorientierungsphase gewünscht hätte. Auch Maximiliane Neubert berichtete im Talk, dass Berufsorientierung an ihrer Schule nicht stattgefunden hat. Mehr als eine vom Wirtschaftslehrer präsentierte Gehaltsliste habe es bei ihr nicht gegeben. Nach negativen Erfahrungen in ihrem ersten Job nimmt sie nun am Associate-Programm von On Purpose teil. In diesem nachhaltigkeitsorientierten Weiterbildungsprogramm setzt sie eigene Projekte um und wird unterstützt durch Coaching, Mentoring und Workshops. Diese unterschiedlichen Erfahrungen der Talkgäste verdeutlichten eindrücklich: Gute Berufsorientierung braucht Praxis!

Digital und analog

Doch wie lassen sich diese praktischen Angebote erfolgreich gestalten? Ideen, Beispiele und Methoden lieferten drei Workshops mit ganz unterschiedlichen Schwerpunkten: Welche Chancen, aber auch Grenzen digitale Methoden und Tools in der grünen Berufsorientierung mit sich bringen, zeigten Guido Wallraven und Gabriele Droste von der Klimakommune Saerbeck. Bis September 2024 wurde hier am außerschulischen Lernort „Saerbecker Energiewelten“ das DBU-geförderte Projekt EnergieweltenPLUS durchgeführt. Guido Wallraven und Gabriele Droste berichteten von ihren Erfahrungen bei der digitalen Umsetzung von Bildungsangeboten, die die Workshopteilnehmenden, unter denen sich auch zahlreiche Projektvertreter*innen der aktuellen DBU-Förderinitiative „Qualifizierung für die Energiewende“ befanden, durch ihre Erkenntnisse aus der Arbeit mit digitalen Formaten ergänzten. Zu den Ergebnissen zählten die Erkenntnisse, dass es gerade im Bereich der Berufsorientierung neben digitalen Angeboten persönliche Beratung braucht und Digitalisierung kein Selbstweck sein darf. Wichtig sei zudem, herauszufinden, für welche Zielgruppe welches Tool geeignet ist.

Berufspraktische Übungen zum Ausprobieren

Iken Draeger vom Wissenschaftsladen Bonn und Lisa Häfner von LIFE Bildung Umwelt Chancengleichheit Berlin präsentierten in ihrem Workshop unter dem Titel „Parcours for Future“ einen Prototyp neuer berufspraktischer Übungen aus den Projekten PFAFF, Mach grün und dem Netzwerk Grüne Arbeitswelt, die künftig an Schulen, außerschulischen Lernorten und Jobmessen eingesetzt werden sollen. Sie sollen Jugendlichen die Gelegenheit geben, in die Rolle vonBerufstätigen zu schlüpfen und sich ganz nach den Goldenen Regeln der Berufsorientierung für Nachhaltigkeit mit realistischen Aufgaben praktisch auszuprobieren. Eben dafür standen zehn Mitmachstationen zur Verfügung, an denen die Workshopteilnehmenden auf der Konferenz aktiv waren und den Entwicklerinnen hilfreiche Hinweise und Ideen zur Weiterentwicklung mit auf den Weg gaben. Während bspw. die Station Tourismus das Highlight für die Proband*innen war, sahen sie an der Station Karriereplanung noch Verbesserungsbedarf. Mit den gesammelten Anregungen wird nun fleißig weitergetüftelt und auch noch nach Schülergruppen für die Testphase gesucht (Anmeldung per Mail an Lisa Häfner: haefner@life-online.de).

Quereinstieg leichter gemacht

Mit dem Schwerpunkt „Berufliche Neuorientierung für Erwachsene“ beschäftigten sich die Teilnehmenden des Workshops von Talents4Good. Die Referentinnen Annette Schmahl und Katharina Holzner konstatierten: „Die ökologische Transformation braucht Quereinsteiger*innen.“ Doch hier gelte es, einige Herausforderungen anzupacken, mit denen sich die Gruppe im Laufe des Workshops auseinandersetzte. Zu den zentralen Themen gehörte etwa die mangelnde Aktualität von Ausbildungsinhalten und die zum Teil fehlende Bereitschaft zum Quereinstieg bei Unternehmen. Diese hielten oft noch immer an starren Formalanforderungen und Kriterien fest. Ebenso bedürfe es der Stärkung von Fachkräften, damit diese sich einen Quereinstieg zutrauen. Ihnen solle bspw. vermittelt werden, dass sie mit ihren Kompetenzen nicht hundertprozentig zur jeweiligen Stelle passen müssen. Und schließlich gelte es, die Angebote zur beruflichen Neuorientierung sichtbarer zu machen, damit Wechselwillige wissen, wo sie Anlaufstellen auf ihrem Weg in eine neue berufliche Zukunft finden.

Lösungssuche im Netzwerk

Um Herausforderungen drehte es sich auf der Jahreskonferenz auch in den Green Flashlights. Die NGA-Mitglieder hatten hier die Möglichkeit, ihre Bedarfe an das Plenum zu richten: Wo hakt es in ihrer Arbeit zur beruflichen Orientierung? Wie kann das Netzwerk dabei unterstützen? So berichtete bspw. Patrick Seiwerth von Neue Effizienz vom Projekt BBNE-Lobby, welches das Ziel habe, Berufliche Bildung für nachhaltige Entwicklung (BBNE) als strategisches Handlungsfeld in die Unternehmen zu bringen. Hier läge die Herausforderung darin, an die Unternehmen heranzukommen und die richtige Ansprache zu finden: „Welche Türöffner gibt es?“ Die Tipps aus dem Publikum reichten von konkreten Anlaufstellen wie den Handwerkskammern bis hin zu Empfehlungen zur konkreten Vorgehensweise: Es sei bspw. hilfreich, Betriebe aufzusuchen und sich deren Perspektiven und Sorgen erst einmal anzuhören, um den richtigen Weg zur Zusammenarbeit zu finden. Auf diese Weise fanden auf der Konferenz unterschiedliche Akteur*innen mit ihren individuellen Hürden Gehör und Anregungen.

Sechs Handlungsempfehlungen

Aber auch wissenschaftliche Expertise lieferte die Tagung mit einem Vortrag von Dr. Tina Fletemeyer vom Institut für Ökonomische Bildung (IÖB). In ihren Ausführungen unter dem Titel „Praktische Erfahrungsräume für die Ökologische Transformation – Wissenschaftliche Erkenntnisse und ihre Konsequenzen“ skizzierte die Expertin sechs Handlungsempfehlungen:

  • systematische Verzahnung von Berufsorientierung und Nachhaltigkeit
  • Qualifizierung von Lehrpersonen
  • Methode Praxiskontakte
  • Erforschung der Wirksamkeit verschiedener Interventionen
  • weitere Evaluations- und Längsschnittstudien
  • systemische Verankerung von Berufsorientierung und Nachhaltigkeit führt zu reflektierter Wahrnehmung von Themen wie Fachkräftesicherung und Klimawandel

Ausgehend von diesen Ausführungen regte Iken Draeger vom Netzwerk Grüne Arbeitswelt zur Diskussion im Plenum an: Greening of Praktika: Was sind zentrale Forderungen an bildungspolitische Entscheidungsträger*innen? Genannt wurde hier u.a. die Förderung überbetrieblicher Berufsorientierung in Reallaboren, die Integration „grüner“ Praxisformate in die schulischen Lehrpläne, die Förderung von kommunaler Vernetzung zwischen Schulen und nachhaltigen Unternehmen sowie die Verankerung nachhaltigkeitsorientierter Berufsorientierung in der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften.

Finanzielle Förderung

Da die Berufsorientierung und Fachkräfteansprache in der grünen Arbeitswelt neben guten Ideen und politischen Entscheidungen auch finanzielle Ressourcen braucht, gab abschließend ein Podium mit Verantwortlichen von Förderprogrammen Hinweise auf Finanzierungsmöglichkeiten. Ob beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), beim Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB), beim Berufsorientierungsprogramm des BMBF (BOP) oder bei der Bertelsmann-Stiftung – die Teilnehmenden der NGA-Jahreskonferenz kennen nun potenzielle Anlaufstellen zur Förderung ihres nächsten Angebots.

Save the Date!

Was? NGA-Jahreskonferenz 2025

Wann? 18. November 2025, von 10-16 Uhr

Wo? DASA Arbeitswelt Ausstellung in Dortmund